Die Quelle. Roman by Catherine Chanter

Die Quelle. Roman by Catherine Chanter

Autor:Catherine Chanter [Chanter, Catherine]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104030371
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-01-13T23:00:00+00:00


Hugh ist ein geborener Zuhörer. Er braucht keine Unterweisung, wie man mit Körpersprache »spiegelt« oder ohne Worte Unterstützung signalisiert. Er sagt nichts, fragt nur: »Darf ich?«, und ich reiche ihm das Notizbuch, während ich darüber nachgrüble, dass manche Wörter immer noch hierherzugehören scheinen: freundliche Wörter wie Laub und Samen. Der Gedanke schmerzt, dass jene anderen gewaltsamen, aufrührerischen Worte je eine Heimat in der Quelle gefunden haben, auf diesem stillen Land, diesem Stück Natur, in das sich unsere Geschichte eingegraben hat, dem Zuhause von Spechten und Butterblumen.

»Das war also der berühmte Erste Gesang?«, fragt Hugh und blättert langsam durch die Seiten.

Ja, das war er. Meine Zeilen entwickelten ein Eigenleben, zeichneten vor, was als »Dämmerungsandacht« bekannt wurde: die Körperhaltung beim Gebet, die Tatsache, dass die Rose in die Erde schrieb, die Gepflogenheit, über eine Handvoll Staub zu meditieren. Gefährlicher noch als all dies war jedoch der Hass auf Männer, das Verbrennen männlicher Abbilder in effigie und die glühenden Proteste gegen männliche Regierungsvertreter, die daraus entstanden. Vielleicht sollte man mich erneut taufen, diesmal auf den Namen Herodes.

Hugh blättert das Notizbuch noch einmal von hinten nach vorn durch und scheint eine spezielle Seite zu suchen. »Dieser Hass auf Männer, Ruth, dieser erbitterte Hass. Galt er allen Männern gleichermaßen? Was war mit Mark?«

»Mark war zu jenem Zeitpunkt eher wie ein Kleinkind für mich als wie ein Mann«, erwiderte ich.

»Und was war mit dem kleinen Lucien? Er wäre auch irgendwann ein Mann geworden.«

»Ist er aber nicht.«

Hugh zitiert aus meinem Notizbuch: »Wir sind ausgetrocknete Frauen, doch wenn wir die Rose küssen, werden unsere Lippen von Tau benetzt, und wir erblühen, genau wie sie. Wenn Männer so schlecht waren … haben Sie dann sozusagen Ersatz gefunden in der Liebe zu Frauen, Ruth? Selbst ein alter Kirchenmann aus Irland kann nachvollziehen, wie es zu so etwas kommen kann.«

»Sie kennen die Geschichte des Mystizismus besser als ich.«

»Sie überschätzen mich.« Hugh wartet geduldig.

Nachdem er mir das Notizbuch zurückgegeben hat, sehe ich mich im Zimmer nach einem Aufbewahrungsort um. Als ich keinen finde, werfe ich das Büchlein einfach in den Korb neben dem Ofen, in den wir immer alles gelegt haben, was zum Verbrennen gedacht war. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass es bei dieser Geschichte mehr Fragen als Antworten gibt. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob der Grenzverlauf zwischen spiritueller und körperlicher Ekstase von psychiatrischer Seite her hinreichend geklärt ist – oder von päpstlicher Seite.« Hugh antwortet nicht; er nickt und verlagert sein Gewicht auf dem Sessel. Ich hole ihm ein Kissen, damit er es bequemer hat. »Es war nicht nur ein anderes Land, in dem ich mich befand, Hugh, sondern ein anderer Planet. Was ich geschrieben habe, sind zusammenhanglose Wörter, Hieroglyphen auf liniertem Papier.«

Wir sitzen ein paar Minuten schweigend da. Die dicken Steinwände des Hauses sind zu einer Barriere geworden, die dem Säuseln der Brise und dem Summen der Gewittertierchen den Eintritt verwehrt. »Fest steht, dass ich sie geschrieben habe. Irgendein Teil von mir muss sie hervorgebracht haben. Was, glauben Sie, ist wohl mit ihnen passiert?«

Hugh wirft mir einen fragenden Blick zu.



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